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Wenn die ärmsten Regionen der Erde Hilfe brauchen, ist zumeist der Westen an vorderster Front. Warum eigentlich?
 
Fassungslos starren wir auf die Bilder, die Gespräche verstummen und mancher stellt sich vor, wie sich das anfühlen würde da draußen, Gott sei Dank weit genug weg, in solcher Verwüstung und inmitten von so viel Elend. Vor einer Woche hat der Taifun Haiyan die Philippinen massakriert. Wieder steigen auch die Bilder des verheerenden Monster-Tsunamis vom 2. Weihnachtstag 2004 aus der Erinnerung vor unsere Augen, der von Thailand über Indien, Indonesien und die Malediven bis Sri Lanka Hunderttausenden Tod und Verderben brachte. Auch das See- und Erdbeben mit dem nachfolgenden Tsunami, der am 11. März 2011 die Reaktorkatastrophe in Fukushima auslöste, ist noch nicht aus unserem Gedächtnis getilgt.

Daheim in Mitteleuropa gibt es allenfalls einmal einen Schneesturm, ein paar Lawinen gehen ab, Züge bleiben liegen, hier und da fällt der Strom aus. Ach ja, am 23. Februar 1999 wurde das Dorf Galtür in Tirol von einer Lawine schwer getroffen und 31 Menschen verloren ihr Leben. Auch die immer häufigeren Jahrhundert-Hochwasser an Donau, Elbe und Oder machen den Anrainern immer mehr zu schaffen.

Die Zeit verrinnt und läuft davon

Daheim, da gibt es aber das THW, das Deutsche Rote Kreuz, die Caritas, die Bundeswehr und noch viel mehr. Schweres Gerät ist rasch vor Ort, Hubschrauber starten und landen. Von allen Seiten strömt Hilfe herbei. Da draußen in aller Welt, da schaut es schon anders aus.

Jetzt müsste etwas geschehen auf den Philippinen, ganz schnell. Die Zeit verrinnt und läuft davon, sie rennt bereits. Rasch müssten die Verletzten geborgen und medizinisch versorgt, schnell müssten die Überlebenden mit allem Notwendigen versorgt, unverzüglich müssten die Strom- und Wasserversorgung wieder hergestellt und irgendein Obdach müsste für die Opfer, die durch die Naturgewalten ihrer Behausung mit allem Hab und Gut beraubt wurden, zum Schutz auch vor Nässe und Kälte errichtet werden. Denn Hunger und Durst mit Seuchen und Krankheiten, aber auch Plünderungen und Überfälle breiten sich aus. Überall ist buchstäblich Not am Mann.

Doch in den Ländern der sogenannten dritten Welt und auch noch in vielen Schwellenländern scheint es am Notwendigsten zu fehlen. Fast immer an organisatorischen Strukturen und Erfahrung, zuweilen aber auch an Mitgefühl und dem absoluten Willen, wirklich auch helfen zu wollen. Die Gewohnheit der Korruption und Gleichgültigkeit gegenüber dem zuweilen fast allgegenwärtigen Elend lassen auch die abstumpfen und empfindungslos werden, die zumindest von Amts wegen zu einem größtmöglichen Engagement verpflichtet wären. Doch sollten wir uns vor dem Pauschalisieren und dem Über-den-berühmten-einen-Kamm-Scheren strikt hüten. Auch wenn wir erschüttert vernehmen, dass bei dem Transport von Hilfsgütern erst einmal stundenlang Zollformalitäten mit viel bürokratischem Aufwand bewältigt werden müssen. Denn soeben erst haben wir selbst hier in Deutschland wieder an die „Reichskristallnacht“ vom 9. November 1938 erinnert, als viele Zeitgenossen den Brandschatzungen und dem beginnenden Dahinmorden ihrer jüdischen Mitbürger teilnahmslos zu- oder gleich ganz weggeschaut haben.

Hilfe ist uns etwas wert

Seit der vergangenen Woche machen sie sich aus aller Welt wieder auf Weg; die meisten mal wieder aus den Ländern der westlich geprägten Demokratien. Ärztliche und technische Hilfsorganisationen reisen mit Feldküchen und Feldlazaretten an, um sich vor Ort für die betroffenen Menschen einzusetzen. In Nordamerika rollt dafür der Dollar und in Europa der Euro – vom russischen Rubel hat man genauso wie vom chinesischen Yuan in diesem Zusammenhang aber eher wenig gehört.

Die Zahlmeister für das Elend der von Naturkatastrophen Heimgesuchten, aber auch für die Opfer von Kriegen und Bürgerkriegen scheinen Studien zufolge zunächst die Amerikaner und dann die Westeuropäer zu sein. Dabei liegen Franzosen, Schweden und andere Europäer sogar noch vor den Deutschen, die Statistiken zufolge in Europa im Spenderranking nur einen mittleren Platz belegen.

In aller Welt humanitäre Hilfe zu leisten, scheint dem Westen also Einiges wert zu sein. Denn auch die Regierungen geizen nicht mit Soforthilfe. Außerdem muss, wenn es richtig brenzlig wird, auch Militär her. Selbst Pazifisten sehnen in solchen Momenten das herbei, was sie ansonsten an den Gestaden gar nicht gern erblicken. Und zuverlässig kreuzen sie auf. Endlich. Die Flugzeugträger. Unter amerikanischer Flagge. Unter welcher Fahne auch sonst. Mit einer wertvollen Fracht an Bord und auf Deck: Hubschrauber. Fünftausend Marines sind auf den Philippinen im Einsatz. Britische Flugzeugträger sind ebenfalls mit Kurs dorthin unterwegs. Gott sei Dank – Rettung und Hilfe nahen, zu Wasser, aus der Luft und auch auf dem Land.

Es mag für die USA eine besondere Genugtuung sein, dass nach den Wochen und Monaten der Anprangerung durch die Snowden-Affäre wieder einmal deutlich wird, welch heilbringende Wirkung eine technologisch hochgerüstete Supermacht entfalten kann, wenn sie ihre Power zum Guten verwendet. Sicher: Spätestens seit Henry Kissingers Doktrin, dass alle Außenpolitik schlicht nur eigene Interessen verfolge, betrachtet man auch das Gebaren der Vertreter der westlichen Hemisphäre nicht mehr nur blauäugig. PR- und Werbeeffekte, geostrategische Überlegungen, gezielte politische Einflussnahme, die Sicherung und Erweiterung einer hegemonialen Stellung – auch diese nicht ganz selbstlosen Bedürfnisse mögen bei aller auf den ersten Blick uneigennützigen Hilfsbereitschaft eine gewichtige Rolle spielen.

Dankbarkeit statt Hochmut

Doch kommen in der Hilfsbereitschaft des Westens auch eine allen Interessen und Bedürfnissen zugrunde liegende Werteorientierung und ein personales Menschenbild in Verbindung mit einem freiheitlich-demokratischen Weltbild zum Ausdruck. Die abendländische Kultur und Philosophie haben in ihrer Rechts- und Religionsphilosophie, in der Theologie und der säkularen Staatlichkeit den Menschen mit seinen existenziellen sozialen Bezügen, aber und vor allem auch als individuelle Person, in den Mittelpunkt gestellt.

Ein Menschenleben, die Freiheit und Unversehrtheit jeder menschlichen Person, sind im Westen buchstäblich viel Geld wert. So wundert es auch kaum, dass zum Beispiel beim Austausch von Gefangenen und Geiseln oder Spionen auf Seiten des Westens inklusive Israel zumeist eine höhere Zahl von gefassten oder zu Haftstrafen verurteilter Ausländer aus- und für eine geringere Zahl eigener Leute eingetauscht werden.

Ein weiterer Lackmustest würde zeigen: Die Begeisterung, chinesische oder russische Soldaten anstelle von Amerikanern und Europäern bei humanitären Aktionen ins eigene Land zu lassen, würde sich selbst in der Not, in der sogar der Teufel gern Fliegen frisst, wohl global in recht überschaubaren Grenzen halten. Das hängt mit einem aus historischen Erfahrungen gewachsenen und noch virulenten Misstrauen, aber auch mit dem durch den jahrzehntelangen Totalitarismus geprägten Menschen- und Weltbild zusammen.

Im vielfältigen asiatischen Kulturkreis, so diagnostizierte bereits Alexander Solschenizyn, sind der Respekt vor der Menschenwürde und die Rechtsstaatlichkeit noch nicht durchgängig im gesellschaftlichen Bewusstsein präsent. Der philosophische Begriff der Person ist noch nicht so reichhaltig entfaltet und fundamental positioniert wie im abendländisch griechisch-römischen, christlichen und jüdischen Kulturzusammenhang.

So kommt es auch auf den Philippinen erst einmal mehr auf die sogenannte moralische Stärke des Westens an. Das darf nicht zu Hochmut verführen, aber vielleicht zu ein klein wenig Dankbarkeit. Der Westen selbst darf sich auch bedanken; bei den „Alten“, die als Philosophen, Juristen und Theologen schon in der Antike auch oft genug nur mit dem Einsatz des eigenen Lebens diese Fundamente geschaffen haben. Sokrates, Cicero und manche christlichen Märtyrer lassen grüßen.

von Richard Schütze
18.11.2013
   
 
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